Im April hatten wir uns in einem offenen Brief zum Thema Wärmewende und Fernwärme an Herrn Sören Bartol gewendet. Daraufhin lud dieser alle im Verteiler Angesprochenen zu einem Web-Ex Gespräch ein. Dieses ausgesprochen konstruktive Gespräch, für das der Vorstand sich bei allen Beteiligten herzlich bedankt, hat nun stattgefunden.
Die Gesprächspunkte:
1. Die Runde diskutierte, ob Fernwärmenetze nicht nur in Bezug auf den Gebäudebereich eine Schlüsseltechnologie der Energiewende sein könnten.
Im Gebäudebereich können kollektive / quartiersbezogene Ansätze deutlich effektiver und auch kostengünstiger als Individuallösungen sein, denn
- es kann schneller als durch aufwändige Dämmmaßnahmen (die natürlich im Laufe der Zeit auch umzusetzen sind) zu CO2-Einsparungen kommen, wenn ganze Quartiere ihre Wärme aus erneuerbaren Energien speisen,
- Studien zeigen, dass Fernwärmenetze in der Gesamtrechnung günstiger sind als Individualheizungen, die ja schneller erneuert werden müssen als die lange haltenden Netze.
Zudem seien Fernwärmenetze Alleskönner:
- Man könne sie einer Vielfalt von Energieträgern beheizen.
- Bei Weiterentwicklung oder Neuentwicklungen von Energieträgern könnten diese bei bestehenden Wärmenetzen relativ kostengünstig ausgetauscht werden, weil nur der zentrale Ofen betroffen ist.
- Sie könnten sektorübergreifend wirken, indem sie z.B. überschüssigen Strom aufnehmen und so als Stromspeicher dienen.
2. Die Teilnehmer*innen waren sich deswegen einig, dass seitens der Politik die gemeinschaftlichen Lösungen stärker gefördert werden sollten. Bisher läge der Schwerpunkt jedoch auf der Förderung von Individuallösungen
In diesem Zusammenhang wurde das dänische Modell als vorbildlich erwähnt. Hier seien die politischen Vorgaben eindeutig: wenn eine Region, ein Stadtteil oder ein Dorf sich für ein Wärmenetz entscheide, müsse jeder bei Erneuerung seiner Heizung daran teilnehmen.
In Deutschland fehle diese politische Unterstützung durch den Bund, die wegen der Priorisierung der individuellen (Wahl-)Freiheiten auf große Widerstände stoße. Das erkläre die Förderpraxis, bei bestehenden Wärmenetzen gleichzeitig auch Individuallösungen zu fördern.
Auch auf kommunaler Ebene sei die Verpflichtung zum Anschluss an bestehende Wärmenetze nicht überall durchsetzbar.
Sowohl Herr Bartol als auch die EAM sprachen sich aber für solche Verpflichtungen aus, seien sie nun auf kommunaler Ebene oder bundesweit beschlossen.
Dabei setzten sie aber nicht vordringlich auf Anschlusszwang sondern auf Anreize, z.B. die Verteuerung der fossilen Energiequellen durch die CO2 Abgabe oder die großzügige Förderung des Anschlusses an Fernwärmenetze.
3. Die Teilnehmer sprachen auch über die betriebswirtschaftliche Seite des Baus von Fernwärmenetzen. Diese könnten nicht nach ‚normalen‘ betriebswirtschaftlichen Gepflogenheiten berechnet werden, denn
- sie seien nur wirtschaftlich, wenn so gut wie alle Anlieger auch anschlössen,
- es könne und müsse eine Abschreibungsdauer angesetzt werden, die die üblichen 15-20 Jahre weit übersteige,
- auch die Zeit, bis ein Netz angemessene Einnahmen verzeichnen könne, müsse länger als üblich angesetzt werden, weil Anlieger erst nach und nach ihre Heizung umstellten,
- das erschwere das Engagement der regionalen Finanzinstitute, die sich, wie z.B. die Sparkasse Marburg-Biedenkopf, in besonderem Maße der regionalen Wertschöpfung verbunden fühlten und nachhaltige Themen sehr begrüßten. Gerade in Krisenzeiten habe sich dieses Selbstverständnis bewährt, das Kleinseelheimer Projekt sei hier beispielhaft.
Deswegen seien die o.a. genannten politischen Maßnahmen so wichtig, und es müssten die finanziellen Risiken ganz anders abgesichert werden als bisher, so die einhellige Meinung der Teilnehmer*innen.
4. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage nach geeigneten Betreibern von Fernwärmenetzen.
In Dänemark seien die Fernwärmenetze weitgehend in Genossenschaftshand, was die Wärmepreise stabilisiere, weil es so ausreiche, kostendeckend zu arbeiten, und keine Profite erwartet würden.
Ob in Deutschland Genossenschaften, die das gesamte Risiko alleine tragen, das überall geeignete Geschäftsmodell sind, sei jedoch fraglich. Dass das konkrete Engagement vor Ort ein extrem wichtiger Faktor zur Umsetzung solcher Projekte sei, stehe außer Frage; Genossenschaften seien aber wirtschaftlich in der Regel eher schwach. Zudem seien die Belastungen für Ehrenamtliche sehr hoch, wenn sie nicht nur die wirtschaftlichen sondern auch die sozialen und persönlichen Risiken bei der Umsetzung solcher Projekte alleine schultern müssten. Kommunale Energieversorger z.B. wären da stärkere Betreiber.
Zur Absicherung der Risiken schlug Herr Bartol beispielsweise einen Fond des Bundes vor, der bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten einspringen könnte.
Insgesamt war die Runde sich einig, dass eine verstärkte kommunale Energieplanung notwendig sei, die die Energiewende koordinierter als bisher voranbringt, wozu es aber der verstärkten Unterstützung der Kommunen durch den Bund bedürfe.
Hier das Protokoll als pdf: 210428 Protokoll Webex-Runde mit Sören Bartol 1
Hier eine Präsentation der EAM zur Rolle der Fernwärme bei der Energiewende: 20210428_Präsentation_EAM
Am Gespräch teilgenommen haben:
Sören Bartol (MdB)
Klaus Mindrup (MdB)
Dr. Judith Horrichs (Referentin SPD Bundestagsfraktion)
Olaf Kieser (Vorsitzender der Geschäftsführung der EAM)
Dr. Andreas Brors (Geschäftsführer der EAM EnergiePlus)
Sebastian Fink (Bereichsdirektor für Unternehmen und Selbstständige der Sparkasse Marburg-Biedenkopf)
Christina Scholz (Abteilungsleiterin Spezialfinanzierungen und Kommunen der Sparkasse Marburg-Biedenkopf)
Ulrike Simon (Vorstand Bioenergiegenossenschaft Kleinseelheim eG)
Prof. Dr. Rainer Waldhardt (Vorstand Bioenergiegenossenschaft Kleinseelheim eG)
Kurt Gibson (Vorstand Bioenergiegenossenschaft Kleinseelheim eG)
Dieter Bartelmess (Aufsichtsratsvorsitzender Nahwärme Rauschenberg eG)